Nachricht vom 16.03.2022

Im Notfall tagt der Krisenstab

Die Stadt Esslingen hat einen Verwaltungsstab eingerichtet, der bei Krisen, Unglücken und Notlagen zusammenkommt, um schnelle Entscheidungen treffen zu können. Zudem stehen eine Sandsackfüllmaschine, Jod-Prophylaxe und Notstromaggregate für den Ernstfall parat.

Lange Zeit führte der Katastrophenschutz ein Schattendasein. Sirenen wurden abgebaut, Bunker vernachlässigt, Einsatzstrukturen ausgedünnt. Nach dem Ende des Kalten Krieges erschien all das nicht mehr notwendig. Doch Corona, die Flutkatastrophe im Ahrtal und nicht zuletzt der Ukraine-Krieg werfen ein neues Licht auf die Vorkehrungen für den Krisenfall. Vielen wird bewusst,dass man sich ohne große Vorwarnung in einem Ausnahmezustand wiederfinden könnte. Die Stadt Esslingen sieht sich zwar gut aufgestellt für den Notstand – doch es gibt auch noch Defizite.

Vor gar nicht allzu langer Zeit wäre er für seine Ausführungen wohl belächelt worden, sagt Andreas Gundl. Noch vor wenigen Jahren hätte er vermutlich selbst kaum ein Beispiel für einen lokalen Krisenfall nennen
können, sagt der Leiter der Stabsstelle Besondere Gefahrenabwehr im Esslinger Rathaus. Das sei jetzt anders. Dabei ist die Stadt bei größeren Notlagen gar nicht zuständig: Wenn der Landkreis den Katastrophenfall ausruft, liegt die Befehlsgewalt bei ihm. „Aber für alles, was unterhalb der Katastrophenschwelle läuft, ist die Kommune zuständig“, sagt Gundl. Dabei sei es gar nicht so leicht, zu definieren, ab wann ein Ereignis als Katastrophe gilt. Letztlich liege das im Ermessen des Kreischefs: „Wenn der Landrat entscheidet, dass es sich um einen Katastrophenfall handelt, dann ist das so“, sagt Gundl. Dann dürfe die Stadt nur noch in Absprache mit dem Landkreis handeln.

Brisanter sind für Esslingen daher zunächst die Notlagen unterhalb der Katastrophenschwelle. Denn darauf gilt es intern vorbereitet zu sein. Kern des Esslinger Krisenmanagements ist der sogenannte Verwaltungsstab. In dem Gremium, das im Krisenfall in der Feuerwache in den Pulverwiesen einberufen wird, sitzen Vertreter verschiedenster Bereiche der Stadtverwaltung – neben Feuerwehr, Klinikum und Tiefbauamt
auch etwa Ordnungs-, Sozial- und Personalamt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Situation zügig von allen Seiten beleuchtet und schnell Entscheidungen getroffen werden können. Die politische Verantwortung im Krisenfall hat Oberbürgermeister Matthias Klopfer – oder bei Abwesenheit sein Stellvertreter. Leiter des Verwaltungsstabs ist der Erste Bürgermeister Ingo Rust beziehungsweise dessen Stellvertreter.

Strikte Vorgaben, was im Ernstfall konkret zu tun ist, gibt es allerdings nicht – zu unterschiedlich sind die Anforderungen in der jeweiligen Lage. Bei Hochwasser stehen andere Dinge an als bei einem Waldbrand:

„Es sind immer situative Entscheidungen“, sagt Gundl. So wäre es seiner Meinung nach sinnvoll gewesen, den städtischen Krisenstab einzuberufen, als Mitte September 2015 rund 300 Flüchtlinge an einem Tag am Esslinger Bahnhof ankamen. Damals existierte das Gremium jedoch noch gar nicht – es wurde erst im Jahr 2017 eingerichtet. Bei der aktuellen Flüchtlingskrise hingegen sei der Verwaltungsstab noch nicht gefragt, weil bislang nur nach und nach Menschen aus der Ukraine ankämen. Das könne sich aber ändern, wenn plötzlich hunderte Geflüchtete in die Stadt kämen, die dann koordiniert untergebracht und versorgt werden müssten. Auch das Hochwasser in der Geiselbachstraße im Sommer 2020 sei kein Fall für den Krisenstab gewesen, erklärt Gundl – eine großflächige Flut, die Evakuierungen und Umleitungen notwendig mache, sei es aber sehr wohl. Auch ein Zugunglück oder der Fund einer Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg könnten, müssten aber nicht zwingend als Katastrophenfall eingestuft werden. Im Zweifelsfall sei also die Stadt zuständig.

Deshalb sei es gut,vorbereitet zu sein,betont Gundl. Und das sei Esslingen, ist er sich mit Feuerwehrkommandant Oliver Knörzer, dem Oberbürgermeister Matthias Klopfer und dem Bürgermeister Ingo Rust einig. Schließlich verfügt die Stadt nicht nur über den Krisenstab, sondern etwa auch über eine Sandsackfüllmaschine, über genügend Jodprophylaxe, über Notstromaggregate und Pumpen. Auch eine Notfallstation zur Messung von Radioaktivität bei den Bürgern sei vorhanden, ebenso Hochwassergefahrenkarten oder ein Zufahrtschutzkonzept für die Altstadt. Gleichwohl sei noch einiges zu
tun. So müsse etwa der Hochwasserschutz speziell für die Innenstadt noch definiert werden, es müsse eine neue mobile Ölsperre zur Verhinderung von Wasserverschmutzung angeschafft und der Feuerwehrstandort Wäldenbronn zum Katastrophenschutzzentrum ausgebaut werden – schließlich liege die Feuerwache in den Pulverwiesen in einem potenziellen Hochwassergebiet.

Im Verwaltungsausschuss, wo der Status quo der städtischen Krisenprävention auf Antrag der FDP am Montag dargestellt worden war, zeigte man sich beruhigt. Man fühle sich gut auf den Ernstfall vorbereitet, so der
Tenor. Nur bei großflächigen, länger anhaltenden Stromausfällen sowie Cyberangriffen sieht man schwarz. Für diese Szenarien müsse man noch Übungen ansetzen, räumte Bürgermeister Rust ein.

Kopfzerbrechen bereitete den Stadträten auch die Frage, wie die Bevölkerung bei einer Notlage flächendeckend informiert werden kann. Die Warn-App Nina sei zwar sinnvoll, werde aber längst nicht von allen genutzt, war man sich einig.Neben Lautsprecher-Wagen und Radio-Durchsagen waren früher Sirenen das Warnmittel der Wahl – doch in Esslingen gibt es keine einzige Sirene mehr. Man habe bereits einen Antrag auf Fördermittel für neue Sirenen gestellt, sagt Kommandant Knörzer – bislang aber ohne Erfolg.

Katastrophenschutz im Wandel

Rückbau Nach 1990 wurden die kommunalen Einrichtungen des Katastrophenschutzes zurückgebaut. Seit 1999 ist der Landkreis im Katastrophenfall zuständig. In Esslingen wurden Zivilschutz und Verwaltung der Schutzräume 2007 an die Feuerwehr übertragen.

Neuorientierung Nach dem Love-Parade-Unglück 2010 wurde 2011 die Stelle Katastrophenschutz im Esslinger Rathaus neu geschaffen. Nach einer Vakanz wurde sie 2013 von Andreas Gundl besetzt und 2015 zur Stabsstelle „Besondere Gefahrenabwehr“ umgewandelt.

Definition Als Katastrophe gilt per Gesetz „ein Geschehen, das Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen oder Tiere, die Umwelt, erhebliche Sachwerte oder die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung in [...] ungewöhnlichem Maße gefährdet [...]“.

Kommentar - Katastrophenschutz ist keine Nebensache

Nicht nur die Behörden, auch die Bürger sollten vorbereitet sein.

Den Katastrophenschutz hatte man lange nicht auf dem Schirm. Nach dem Ende des Kalten Krieges galt das Thema mehr oder weniger als erledigt. Sirenen und Bunker wurden als unnötig angesehen, Einsatzstrukturen abgebaut.Mit größeren Bedrohungen rechnete man nicht mehr. Auch extreme Unwetter mit großen Folgeschäden ereigneten sich gefühlt meist anderswo, weit weg.

Doch in den vergangenen zwei Jahren sind viele Gewissheiten abhanden gekommen. Erst hat die Coronakrise gezeigt, dass vieles, was man sich vorher nicht im Traum hätte vorstellen können, schneller kommen kann als gedacht: Eine weltweite Pandemie mit unzähligen Toten, die zudem noch Lockdowns, Ausgangssperren und Maskenpflicht mit sich bringt.Dann hat die Flutkatastrophe im Ahrtal eindrücklich vor Augen geführt, dass auch in Deutschland die Auswirkungen des Klimawandels schon zu spüren sind. Im Zuge des weltweiten Temperaturanstiegs werden auch hier Starkregen-Ereignisse und damit Überschwemmungen wahrscheinlicher. Und nun noch der russische Angriff auf die Ukraine, der mit der Gewissheit bricht, ein Krieg mitten in Europa sei unvorstellbar.

Das alles zeigt nur zu deutlich, dass man vorbereitet sein muss. Die Zeiten, in denen der Katastrophenschutz zur Nebensache degradiert war, sind vorbei. Im Zweifelsfall müssen die Behörden in Kommunen, Landkreisen und Land fähig sein, schnell zu handeln. Daher ist es gut, dass die Stadt Esslingen bereits vorgesorgt und einen Verwaltungsstab eingerichtet hat, der zügig einberufen werden kann und schnell entscheidungsfähig ist. Nun gilt es, die noch offenen Punkte im Krisenmanagement zügig abzuarbeiten. Denn niemand weiß,wie die nächste Krise aussieht – und wann sie kommt.

Letztlich ist es aber auch entscheidend, die Bevölkerung mitzunehmen, sie aufzuklären und dafür zu sensibilisieren, wie man sich in einer akuten Notlage zu verhalten hat. Zwar ist jede Katastrophe anders, eine Blaupause gibt es nicht. Doch es sollte zumindest klar sein, auf welchen Wegen die Alarmierung im Ernstfall erfolgt und wie die Kommunikation der Behörden untereinander sowie mit der Bevölkerung sichergestellt ist –denn da liegt offenbar durchaus noch einiges im Ungewissen.

Weitere Informationen zu den Themen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz sowie zur Daseinsvorsorge erhalten Sie auf unsere Homepage unter wissenswert.es für Bürger sowie unter kommunikativ.es.

Redakteur:
Esslinger Zeitung

Info

In Notfällen erreichen Sie uns ausschließlich über den europaweiten NOTRUF 112

NOTRUF 112

Kontakt

Feuerwehr Esslingen am Neckar
Geschäftsstelle
Pulverwiesen 2
73728 Esslingen am Neckar
Telefon (07 11) 35 12-37 00

Unwetterwarnungen für Baden-Württemberg

Aktuelle Unwetterwarnungen für Baden-Württemberg



Weitere Informationen: www.unwetterzentrale.de
©MeteoGroup

Bevölkerungswarnung

Wichtige Warnmeldungen halten Sie von uns auch über die Notfall-Informations und Nachrichten App des Bundes NINA

NINA-online

App-download
ITunes
Google Play

Hilfreiche Seiten

Es liegen keine Seitenbewertungen vor
* Unter Umständen werden keine oder weniger als 10 Ergebnisse angezeigt